Porträtfotografie: Drei Kriterien für ein gutes Bild

Zwischen theoretischem Wissen, was gute Porträtfotografie ausmacht und deren Umsetzung ist es oft ein weiter Weg. Also: Wie bekommt man ein gutes Porträtfoto hin? Es gibt drei Ebenen, auf denen ein Porträt (so wie im Übrigen auch jedes andere Bild) funktionieren muss: Das Bild muss technisch korrekt sein, Emotionen erzeugen und eine Geschichte erzählen. So leicht und doch so schwer.

1. Technisch korrekte Porträtfotos

Viele Anfängerinnen und Anfänger sehen dies als die schwierigste Komponente. Viele, die Fotografie nicht beruflich betreiben, sind überzeugt, dass die Technik das Bild ausmacht. Habt ihr schon mal den Spruch gehört: »Ja, mit deiner Kamera hätte ich das auch gekonnt.« oder: »Deine Kamera macht gute Bilder«? Bemerkungen, die bei Fotografinnen und Fotografen nicht gerade beliebt sind.

Denn nicht die Kamera beherrscht den Fotografen, sondern der Fotograf sein Equipment. In Wirklichkeit ist aber bei einem Porträtfoto die Technik oft nicht der entscheidende Faktor. Natürlich, das Bild muss technisch korrekt sein. Im Großen und Ganzen heißt das, es sollte scharf sein, gut ausgeleuchtet und man sollte erkennen, was auf dem Bild dargestellt ist. Jedoch kann ich ein Bild von einer Feige machen, die diesen Anspruchen genügt, und niemand wird von meinen Fähigkeiten begeistert sein. Es gehört also doch etwas mehr dazu, ein Bild ansprechend wirken zu lassen.

Ein technisch korrektes Bild zu machen, bedeutet aber noch lange nicht, dass das Ergebnis auch schön ist bzw. gefällt. Das beste Beispiel dafür ist ein Passbild aus dem Automaten. Es erfüllt alle technischen Anforderungen und Bestimmungen, ist gut belichtet und scharf und bildet die Person korrekt ab. Dennoch sehen die meisten auf ihren Passbildern aus wie Schwerverbrecher auf einer Fahndungsliste. Niemand würde auf die Idee kommen, ein solches Foto für die eigene Homepage oder den Lebenslauf zu verwenden. Allerdings ist der Faktor »technisch korrekt« die einzig tatsächlich messbare Komponente und deshalb so wichtig. Wenn auch nicht die wichtigste.

Aus: Porträtfotografie (von Cliff Kapatais), Seite 20. Ein technisch korrektes Bild ist noch lange kein Meisterwerk, wie der direkte Vergleich zeigt. Auch wenn beim linken Bild alles richtig gemacht wurde, würden wir es uns wohl kaum an die Wand hängen.

2. Emotionen in Porträtfotos

Menschen sind emotionale Wesen. Wir kaufen Emotionen, wir beurteilen aufgrund von Emotionen und wir lassen uns von unseren Gefühlen leiten. Damit ein Bild länger als zwei Sekunden in Erinnerung bleibt, muss es bei uns also eine Gefühlsregung hervorrufen. Welcher Art, ist dabei nebensächlich. Die einfachste Art, beim Betrachter etwas auszulosen, ist es, Emotionen der Porträtierten einzufangen.

Viele »emotionale« Bilder, die uns in Erinnerung bleiben, sind aus dem Bereich Fotojournalismus, und da sind es meist Bilder von schrecklichen Momenten. Warum? Weil in solchen Situationen die Porträtierten meist ganz andere Sorgen hat, als sich um seine »Maske« oder sein Erscheinungsbild zu kümmern. In solchen Situationen fangen Fotos die puren Emotionen des Momentes ein. Wenn ich Stichworte wie Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise oder Krieg in den Raum werfe, fallen jedem von uns tragische Bilder ein, die sich in unser Gehirn eingebrannt haben. Und zwar aufgrund der Emotionen, die sie transportieren und auch bei uns auslösen.

Aus: Porträtfotografie (von Cliff Kapatais), Seite 21. Emotionen einzufangen, ist ein wichtiger Bestandteil der Porträtfotografie.

Natürlich sind auch Momente der Freude eine gute Gelegenheit, ehrliche Emotionen einzufangen. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Hochzeits- und Babyfotografie leben von diesen echten Emotionen. Aber man kennt sie auch vom Sport. Das Tor in der letzten Minute, das Selfie nach dem geschafften CrossFit-Workout oder das Erreichen der Ziellinie beim Marathon. Kinder sind auch gute Lieferanten ehrlicher Emotionen. Das Geschenke Auspacken beim Kindergeburtstag etwa.

Unser Leben, unser Alltag ist voll von Gefühlen und Empfindungen. Aber sobald eine Person das Fotostudio betritt, fällt es oft schwer, echte Emotionen einzufangen. Millionen schlechter Stockfotos zeugen davon. Das liegt aber meist nicht am technischen Vermögen des Fotografen, sondern vielmehr an der Person vor der Kamera. Die Nachbarin, der Freund, die Tante Mizzi sind halt keine Models und erstarren oft regelrecht, sobald sie fotografiert werden.

Aus: Porträtfotografie (von Cliff Kapatais), Seite 21. Kinder lassen ihren Emotionen freien Lauf und verstecken sich hinter keiner Maske. Ehrliche Porträts entstehen so fast von selbst.

Denn natürlich sind wir als Fotografin und Fotograf für den Inhalt unserer Fotos verantwortlich und auch dafür, wie sich die Person am Set gibt. Es gibt Menschen, die kommen ins Studio, stellen sich vor die Kamera und sehen aus wie ein Sack Kartoffeln. Aber auch sie erwarten– zu Recht – ein wunderbares Bild von sich. Hier sind wir als Fotografinnen und Fotografen gefragt. Wir müssen wissen, was wir tun. Natürlich gibt es hier wieder ein paar »Hard Skills«, die wir beherrschen sollten. Etwa Kundinnen und Kunden beim Posing zu helfen, bei der Auswahl des Gewandes und der Farbwahl zu unterstützen und sie auf das Shooting einzustimmen.

Aber noch viel essenzieller sind die »Soft Skills«, die wir beherrschen müssen, nämlich der Umgang mit Menschen. Etwas, das ihr in keinem Fotografie-Handbuch finden werdet, das aber unerlässlich ist für gute Fotos. Wir wollen die Emotionen der Person einfangen, ihr wirkliches Ich. Das geht aber nur, wenn die Person sich wohlfühlt und bereit ist, ihre Maske, die sie im alltäglichen Leben trägt, fallen zu lassen.

Für gute Fotos braucht man Zeit. Wenn ich für ein Porträt Shooting zwanzig Minuten anberaume, dann ist das natürlich wirtschaftlich sinnvoll und auch technisch sicher umsetzbar, aber da wird bestimmt kein Meisterwerk entstehen. Ein Meisterwerk entsteht nur dann, wenn es zwischen beiden klick macht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auf einer Wellenlänge zu sein, hilft da ungemein. Diese »Psychologie« hinter der Porträtfotografie lässt sich übrigens auch lernen.

3. Die Story hinter dem Porträtfoto

Falls euren Porträts das bestimmte Etwas fehlt, dann kann es daran liegen, dass ihr einfach eine Situation festgehalten habt, ohne eine Geschichte zu erzählen. Menschen werden heutzutage mit unzähligen Bildern über so viele verschiedene Medien bombardiert, dass sie von einem guten Bild mehr erwarten als nur Dokumentation. Sie wollen ein Erlebnis, sie brauchen eine Geschichte, denn nur so wird ein Bild wirklich interessant.

Aber was ist eine Geschichte? In ihrer einfachsten Art geht es um einen Ablauf von Ereignissen und um eine Protagonistin oder einen Protagonisten. Und wie erzählt man einen Ablauf an Ereignissen in nur einem Bild? Das geht nicht! Man kann mit nur einem Bild keine Geschichte erzählen, denn die Geschichte findet im Kopf der Betrachter statt. Genau da müssen wir ansetzen. Wir erzählen einen Moment aus einer Geschichte, der den Geist der Betrachterin und des Betrachters dazu anregt, die Geschichte weiter zu spinnen. Wir verpacken alles, was nötig ist, um den Grundstein der Geschichte zu legen, lassen aber absichtliche Informationslücken. So wird man fast schon gezwungen, die Geschichte weiterzudenken. Wenn uns das gelingt, hören sie auf, weiterzublättern und bleiben bei unserem Bild und nicht bei einem der anderen 1000 hängen.

Aus: Porträtfotografie (von Cliff Kapatais), Seite 22: Ein Bild erzählt nicht nur eine Geschichte, idealerweise haben alle Betrachterinnen und Betrachter ihre eigene Version.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch Porträtfotografie von Cliff Kapatais. Alle Infos zum Buch, das Inhaltsverzeichnis und eine kostenlose Leseprobe findet ihr bei uns im Shop.

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