Gegenlicht Fotografie – Drei Tipps von Michael Freeman

Wer fotografiert, kennt die Regel: Niemals ins Gegenlicht fotografieren. Dabei können im Gegenlicht aber auch besondere Aufnahmen entstehen. Der bekannte Fotograf Michael Freeman stellt hier drei Szenarien für die Gegenlicht Fotografie vor.

1)  Spot-Gegenlicht: Hell vor Dunkel

Ich hätte das auch Gegenlicht-Spot nennen können, denn um diese Art Spot handelt es sich ja im Grunde. Den Unterschied zum normalen Spot macht das Motiv aus, dazu die Tatsache, dass das Motiv selbst zu leuchten scheint. Damit das passiert, muss das Motiv zumindest teilweise lichtdurchlässig sein, vielleicht sogar transparent, zum Beispiel ein dünner Stoff oder ein Trockenfisch. Wenn nicht, haben wir es vermutlich mit einem Kantenlicht zu tun.

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Aus: Capturing Light (Michael Freeman), Seiten 140-41: Mönch, Kloster Mahagandayon, Amarapura, Myanmar, 2008 und Trockenfisch auf der Wäscheleine, Dorf Song-rup Ri, Cheju, Südkorea, 1989

Die Idee, ein Motiv im Gegenlicht zu beleuchten, ist, dass es so einen Glanz entwickelt, und das ist im Repertoire der Lichtbedingungen etwas ungewöhnlich. Außer der Richtung, die Kamera ist gen Sonne gerichtet, sind zwei Bedingungen für eine solche Aufnahme notwenig. Der Hintergrund muss dunkel sein, um den Kontrast zu liefern, und die Sonne muss sowohl außerhalb des Bildausschnitts liegen als auch von etwas verdeckt werden. Im Studio würden wir das als »abhängen« bezeichnen. Hier kann der Vorhang (im Studio meist ein dunkles Tuch, der das Licht davon abhält, direkt ins Objektiv zu fallen) ein Gebäude, ein Baum oder irgendetwas anderes Hohes sein. Und da der Himmel um die Sonne herum auch hell ist, wird der Effekt umso stärker, wenn auch der Himmel vor der Kamera möglichst verdeckt ist. Ihr könnt dem selbst durch Vorhalten der Hand nachhelfen oder bittet einen Assistenten, seine Hand oder eine Karte zu halten, um das Objektiv vor Streulicht zu schützen.

2) Ins Licht fotografieren: Reflexionen und Lichtbrechung

Das ist eine der einfachsten Lichtsituationen bei Gegenlicht mit der größten Wirkung. Dreht euch doch einmal um, damit ihr die Sonne nicht im Rücken habt, sondern direkt in sie hineinfotografiert – das ändert wirklich alles. Allerdings habt ihr es jetzt mit Dingen zu tun, die die Arbeit mit der Kamera kompliziert und unvorhersehbar machen: Blendenflecke, starker Kontrast, Silhouetten und unsichere Belichtungen. Ihr bekommt dafür aber auch etwas: Stimmung, Atmosphäre und kreative Wahlmöglichkeiten. In solchen Situationen ist mehr Platz für Individualität und mehr Handlungsspielraum, an dessen einem Ende sich dichte, intensive Silhouetten befinden und am anderen Ende ein gut belichtetes Bild mit offenen Schatten im Vordergrund und rein weißen Bereichen.

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Aus: Capturing Light (Michael Freeman), Seite 52: Cienaga de Cholon, Karibische Küste, Kolumbien, 1979

Es muss hell und sonnig sein und die Sonne – oder deren Reflexionen – muss tief genug stehen, um im Bildausschnitt zu erscheinen. Das passiert auch bei vielen anderen Lichtsituationen. Hier seht ihr zwei klassische Effekte, die beim Fotografieren gegen die Sonne entstehen: Reflexionen auf Oberflächen und Lichtbrechungen durch Gegenstände hindurch. Diese sind bei dieser Art Fotos so wichtig, weil sie die Sonne ins Bild bringen und sie nicht einfach außen vor lassen (darüber oder dahinter).

Bei Reflexionen geht es um den Winkel: euer Winkel zu der Oberfläche, die ihr fotografiert, und der Winkel der Sonne zur Landschaft. Es wäre etwas langweilig, wenn ich an dieser Stelle auf die Physik eingehen würde, aber bei einer flachen Oberfläche wie Wasser muss die Kamera umso tiefer sein, je tiefer die Sonne steht, um die hellsten Reflexionen einfangen zu können. Der Einfallswinkel entspricht dem Winkel der Reflexion. Der Winkel, mit dem die Sonne die Oberfläche streift, entspricht dem Betrachtungs- oder Aufnahmewinkel. In der Aufnahme mit dem Kanu geht die Sonne gerade erst auf. Die Wellen reflektieren verschiedenste Dinge, die dunklen Streifen stammen von den Bäumen außerhalb des Bildausschnittes.

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Capturing Light (Michael Freeman), Seite 53: Ölflaschen, Suq Libya, Omdurman, Sudan, 2004

Lichtbrechungen sind eine andere Möglichkeit der Sonne, mit dem Motiv zu interagieren. Dafür muss das Objekt, durch das die Sonne scheint, transparent oder durchscheinend sein. Die vielen verschiedenen Effekte im Gegenlicht resultieren aus den verschiedensten Lichtwinkeln. Aber auch Wolken brechen das Licht – deshalb entstehen auch die unterschiedlichsten Effekte, wenn sich die Sonne hinter dünnen Wolken verbirgt.

3) Im Gegenlicht die Silhouette fotografieren

Wenn ihr in das Licht hineinfotografiert, gibt es auch immer noch die Option der Silhouette. Das bedeutet, Tiefendetails werden ignoriert, ihr belichtet für den hellen Hintergrund und verlasst euch darauf, dass Formen und Umrisse grafisch wirken. Manche Situationen im Gegenlicht eignen sich perfekt für eine Silhouette, während andere erst mithilfe der richtigen Belichtung und Nachbearbeitung in diese Richtung gedrängt werden können. Wenn Silhouetten gut funktionieren, liegt das daran, dass sie einem ganz bestimmten visuellen Weg folgen, Dinge darzustellen. Eine Silhouette verlässt sich auf Umrisse und die Regeln der Karikatur. Das klingt vielleicht etwas seltsam, aber daraus könnt ihr tatsächlich etwas lernen. Dazu lohnt es sich, einen Blick zurück ins 18. und 19. Jahrhundert zu werfen – den Hochburgen von Silhouetten. Es gab damals sogar schon eine Verbindung zur Fotografie – wenn auch eine konträre, denn die Kamera war eine einfachere und billigere Möglichkeit, ein Porträt zu erstellen.

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Capturing Light (Michael Freeman), Seite 70: Xuanwu-See, Nanjing, China, 2010

Wenn das Bild also gut erkennbar sein soll, müssen die Umrisse im richtigen Moment und unter dem richtigen Blickpunkt aufgenommen werden. Bei einer Person eignet sich eine Profilaufnahme mit einer ausdrucksstarken Geste (z. B. einer ausgestreckten Hand). Der richtige Moment ist für eine Silhouette besonders wichtig. Das erklärt auch, warum ich mich gerade für diesen Bildausschnitt bei der Aufnahme am Nanjing entschieden habe – die beiden Personen rechts und auch die anderen Personen zwischen den Bäumen. Insgesamt habe ich von dieser Szene 40 Aufnahmen gemacht.

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Capturing Light (Michael Freeman), Seite 71:  Akha-Mädchen mit Grasbündeln auf dem Rücken, Provinz Chiang Rai, Thailand, 1981

Natürlich sind klar erkennbare Motive nicht ganz so interessant wie mysteriös wirkende Silhouetten. Sie besitzen eine bestimmte grafische Spannung, die auch lange nach der original Schneidetechnik noch Bestand hat. Das liegt daran, dass der Betrachter sich etwas anstrengen muss, die Szene zu erfassen, und dem intensiven Schwarz vor einem hellen Hintergrund. Deshalb entschied ich mich auch bei den beiden Akha-Mädchen für eine Silhouette. Immer wenn ihr eine Silhouette fotografieren wollt, müsst ihr die Belichtung für den hellen Hintergrund wählen und das Objekt selbst dunkel halten – vielleicht sogar schwarz, wie in der Aufnahme vom Nanjing. Silhouetten wirken ohne Tiefe und Dimension deutlich besser.


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Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Capturing Light“ von Micheal Freeman. Alle Infos zum Buch, das Inhaltsverzeichnis und eine kostenlose Leseprobe findet ihr bei uns im Shop.

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